Am Ende der Centovalli, im Wald von Moneto, nahe der Grenze zu Italien bei Monadello tut sich seit langem Seltsames. Im Frühjahr 2018 entstand der erste Einschnitt im Wald. Wochenlanges Aufschreien der Kettensägen und Knirschen der improvisierten Drahtseilbahn, um das geschnittene Holz auf die Strasse zu transportieren, weckten nicht nur neugierige, sondern auch verärgerte Blicke von der gegenüberliegenden Talseite. Was wurde hier angelegt? Ein Skilift für die nächste Eiszeit, eine neue Wasserleitung, ein Mountainbike Trail oder gar eine Landebahn für Ausserirdische?
Im Frühjahr 2019 ging es weiter, nicht unmittelbar an den ersten Einschnitt anschliessend, sondern etwas versetzt. Wieder monatelang derselbe Lärm, dieselbe Verschandelung des Waldes. Und 2020 die dritte Tranche. Niemand, den ich kenne, konnte das Rätsel lösen, bis ich über drei Ecken auf einen Artikel von „La Regione“ stiess.
Dort wird Giovanni Galli, Leiter des Forstamtes des 80. Bezirks zitiert: „Die Schutzwälder im Tessin werden in zwei Arten unterteilt: die des direkten Schutzes, die bewohnte Gebiete und Strassen vor Naturgefahren schützen (in denen subventionierte waldbauliche Eingriffe in der Regel von öffentlichen Stellen oder vom Staat durchgeführt werden) und die des indirekten Schutzes, in denen Waldunternehmer mit unserem Einverständnis zu Trägern von Holzverwertungsprojekten werden können. Im Falle der Alta Centovalli handelt es sich genau genommen um ein Schnittprojekt „deficitario“, welches von einem privaten Auftragnehmer durchgeführt wird.“
An diesen Schnee- und Erdrutsch gefährdeten Hängen befürchte ich allerdings, dass später wieder ein Projekt zum Schutz vor Naturgefahren gemacht werden muss…
Herr Galli wird weiter zitiert: „Einerseits begünstigen die Schnitte – indem sie dem Licht erlauben, den Boden zu erreichen – das Wachstum der Kleintiere und verbessern die Qualität des Unterholzes, indem sie es ökologisch reicher (auch für die Fauna), interessant und besser strukturiert machen; andererseits stimulieren sie die Holzwirtschaft (denken Sie zum Beispiel an den Bedarf der Wärmekraftwerke in der Region), indem sie die Ausbeutung einer lokalen Ressource in Reichweite begünstigen und vielleicht Importe aus dem Ausland vermeiden. … Aus ökologischer Sicht und aus Sicht der Artenvielfalt schaffen diese Einschnitte eine neue Dynamik, ermöglichen es dem Wald, sich zu erneuern und andere Waldessenzen anzusiedeln. Im Vergleich zu reinem Buchenholz, mit einem „sauberen“, aber extrem armen Unterholz, wird sich in den nächsten Jahren ein reicherer und stabilerer Wald entwickeln, der der Natur zugute kommt.“
Ich persönlich stehe diesem Projekt eher skeptisch gegenüber. Der Nutzen dürfte vor allem den Waldbesitzern zugute kommen. Was leider nicht vorgesehen wurde: Eine experimentelle Wiederaufforstung mit neuen Baumarten, welche sich bei der – im Tessin besonders spürbaren – Klimaveränderung als resistent erweisen könnten. Bei den vermehrt auftretenden Waldbränden würden sich gezielt eingesetzte Schneisen sicher von Vorteil erweisen. Diese müssten aber direkt um die bewohnten Gebiete angelegt werden.
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Erst mal Danke für das Fundstück!
Der identische Text des Artikels wurde im Sommer letzten Jahres auch am offiziellen Schwarzen Brett in Costa ausgehängt. Ich sage ganz bewusst „der Text des Artikels“, weil nicht zu erkennen war, dass es sich um einen Artikel im „La Regione“ handelte. Wahrscheinlich handelte es sich um einen mit Copy/Paste ausgeschnittenen Text von deren Webseite, ausgedruckt auf eine Seite A4. Ich weiß das deshalb noch, weil ich den Aushang damals, d.h. am 16. August, abfotografierte, um das dann zu Hause in Ruhe zu lesen und auch richtig zu verstehen, denn mein Italienisch ist nicht das allerbeste.
Was mich irritiert ist auch dies: Obwohl die Rodungen der ersten beiden Schneisen nun schon vor über einem Jahr stattfanden, wächst dort augenscheinlich noch immer kein Halm. Auch unter Zuhilfenahme eines wirklich sehr leistungsfähigen Fernglases (Vergrößerungsfaktor 20 !) ist von Costa aus kein Kraut zu entdecken, kein Busch, geschweige denn der Spross eines jungen Bäumchens. Irgendwie seltsam, wenn ich da an meinen eigenen Garten denke, wo das Unkraut in dieser Zeit längst einen Meter hoch stehen würde. Professionelle und staatlich geförderte und begleitete Forstwirtschaft ist gewiss ein anderes Kaliber als meine bescheidenen Kenntnisse als Hobbygärtner, aber etwas nachdenklich macht das schon.