Die Herbstferien stehen bevor und viele packen schon die neuen Wanderschuhe, die Socken und die Stöcke in den Rucksack. Endlich animieren die tieferen Temperaturen wieder zu längeren Ausflügen an den steilen Hängen der Centovalli.
Eigentlich wird die „Via del mercato“ bereits in fast jeder Tessiner Tourismusbroschüre oder -website beworben und ist den meisten temporären oder stationären Bewohnerinnen des Tals bekannt. Da in diesem Corona-Sommer aber doch viele Ausflügler, Camper und Mieterinnen von Ferienwohnungen zum ersten Mal in den Centovalli landeten, lohnt sich der Hinweis vielleicht doch. Wer nun einfach die Wegbeschreibung sucht, der oder die seien auf die schöne Seite von Ticino Tourismus verwiesen.
Gehandelt wird im Tal infolge fehlender Ladengeschäfte kaum mehr und die Handelswege zwischen Italien und der Schweiz haben schnellere Routen als die alten Eselspfade gefunden. Gehandelt wird vornehmlich und wieder vermehrt mit Liegenschaften. Während in anderen Schweizer Regionen wie im Engadin oder im Mattertal der Verkauf von Wohneigentum in den letzten Jahrzehnten boomte, blieben die Rustici in den Tälern des Sopraceneri buchstäblich auf ihren Besitzern sitzen. Seit den Corona-Reisebeschränkungen zeigten sich jedoch viele Objekte abseits von Ascona, Locarno und Lugano plötzlich als vergleichsweise günstige Alternativen. Einen derartigen „run“ auf Rustici zu Kauf oder Miete habe ich jedenfalls in den letzten 35 Jahren nicht erlebt.
Wer nun nichts Kritisches lesen will, soll diesen Abschnitt besser überspringen. Leider sind nämlich innerhalb eines Jahres mit dem Kauf der meist günstigen Immobilienangebote auch Leute in die Dörfer gekommen, die keinen wirklichen Bezug zur Gegend und Kultur des Tales hatten oder haben. Sie interessieren sich nicht, wer ihre Nachbarn sind, sie sprechen kein oder kaum italienisch und kümmern sich weder um Gepflogenheiten noch Vorschriften – selbstredend sind damit nicht alle gemeint. Es wird im Parkverbot geparkt, sodass Feuerwehr und Ambulanz stecken bleiben, im Garten werden trotz höchster Waldbrand-Gefahrenstufe riesige Feuer entzündet und den Kindern wird bei akutem Trinkwassermangel das Schwimmbecken gefüllt. Dass sich dann auch die Anzahl der Hunde an gewissen Orten verzehnfacht! hat, kann man niemandem zum Vorwurf machen. Aber dass sich viele Einheimische vor den Tieren fürchten, wenn sie verbotenerweise in den Dörfern von der Leine gelassen werden, stimmt schon bedenklich. Und wenn Du Dich nun zur „Via del mercato“ aufmachst, wirst Du Deine Schuhe vermehrt von liegengelassenen Hundeexkrementen säubern müssen – wir sind ja auf dem Lande… Dabei will ich all den Neuzuzügern nicht die Hoffnung absprechen, dass sich ihre Sensibilität für Natur und Menschen weiterentwickelt und dass wieder neue, verschworene Gemeinschaften die Ruhe und Schönheit der Centovalli geniessen werden. Glücklicherweise sind die Zustände hier noch nicht so schlimm wie im Verzascatal, wo man diesen Sommer für einen Badeausflug zum Fluss stundenlang im Verkehrs-Stau stehen musste.
Endlich nun aber zum Wandervorschlag „Via del mercato“. Der alte Handelsweg führt fast über die gesamte linke* Talseite, mit Sonne selbst im Winter. Dies war wohl auch der Grund der Streckenführung bereits im Mittelalter. Bis ins 19. Jahrhundert wurde der Weg aktiv genutzt, meist aber in Richtung Italien ins Valle Vigezzo und Val d’Ossola – nicht zuletzt für Arbeitssuchende aus dem Tessin. Durch die Ost-West Ausrichtung der Täler (aha: zwischen Afrika und Europa!) liessen sich die mühsamen Bergüberquerungen vermeiden. Es ist eine Wanderung, die man kaum gern hin und zurück geht, sondern vorzugsweise ab dem Bahnhof Camedo über Lionza und Verdasio nach Costa Pila bis Intragna in Angriff nimmt. Danach fährst Du mit der Centovallina nach Camedo zurück oder auf die andere Seite Richtung Locarno. Der Weg ist hier auf Ticino Tourismus vorzüglich mit Wegzeiten und Höhenkurven beschrieben. Es gibt aber auch interessante Varianten: So lässt sich ab Intragna Richtung Calezzo starten oder mit der Seilbahn direkt nach Costa Pila abkürzen. Dort informiert der Wegweiser über weitere Möglichkeiten (siehe untenstehendes Bild). Wer Probleme mit den Knien hat, nimmt danach wieder die Seilbahn bis Verdasio und fährt mit der Centovallina weiter. Ansonsten hilft auch der gute Fussweg hinab nach Verdasio der Verdauung.
Zum Schluss noch ein heisser Tipp ganz allgemein für Wanderungen: Die neue kostenlose App „Swiss Topo“ (iOS und Android) bringt eine hervorragende Auflösung in der Luftansicht und lässt nach Bedarf u.a. „Wanderwege“ oder „Wanderland SchweizMobil“ einblenden. Zückerchen dabei: Wer eine Adresse sucht, kann im Luftbild etwas länger direkt auf ein Haus drücken und erhält den Ort mit Strasse und korrekter Hausnummer. Toll, was?
Lieber Robert
Deine gut recherchierten Artikel, mit analytischer Stärke führe ich mir genüsslich zu Gemüte! Du investierst viel Zeit und Energie in diese (Fach-)artikel. Besonders schätze ich, dass Du beim Schreiben an die Menschen denkst, auf sie eingehst. Gelebte Empathie! Zeige weiter ebenso mit dem Zaunpfahl auf heikle Punkte. Das tut viel zur Sache, um unser Costa, unser Centovalli und Vigezzo auf den Pfad der Tugend zu manövrieren (September-Artikel 2020).
Gute Zeit wünscht Dir Christian
Ein schöner Artikel – und schöne Erinnerungen kommen hoch an die Jahre, die wir damals mit vielen Freunden in Costa verbrachten.
Wir haben rechtzeitig unser Casa Eden verlassen (müssen) – die nachfolgenden Jahre brachten Veränderungen, die wir nicht mehr goutiert hätten. So ist es – alles hat seine Zeit und seine Vor-und Nachteile.
Sehr schade, dass es so viele Menschen gibt, die zwar das Geld haben, aber nicht recht damit umzugehen wissen! Mir fehlt (altersbedingt?) der Optimismus, daran glauben zu können, dass sich auf diesem Planeten noch positive Änderungen des Verhaltens der Menschheit erwarten lassen. Dazu gehören auch die Verhaltensweisen der „Neuen“ im Tessin.
Hallo Robert,wie immer ein interessanter Bericht über das vergessene Centovalli
Centovalli hört für uns nicht etwa in Camedo auf,,sondern canz interessant ist das Verbindungs Thal bis Domodossola.
Ganz bezubernde Gebiete und tolle Leute,die mit uns integriert sind.deswegen sollte mam sich git überlegen,wie man abstimmt,denn ich bin leider momentan im Spital und viele Grengänger sind fachmännische Leute und auch sehr nett.sollte man glauben,dass unsere schweizer die ganzen Stellen besetzen würden dann ist ein Fehldenken stattgefunden oder falsche Informationen.
So numwünsche ich Dir Robert alles Gute und bleib dem Centovalli treu