Abseits von Moon and Stars, vom Filmfestival oder vom überlaufenen Verzascatal scheint sich die lokale Tourismusorganisation – abgesehen vom Eintreiben der Gebühren bei Feriengästen und Hausbesitzern – für wenig zu interessieren. Die wahren Edelsteine des Kantons, die Orte mit intakter Natur im Steinhausgebiet und die Ruhe der Täler ohne spektakuläre Attraktionen bringen halt auch kein Geld ein. Es scheint mir, die Touristiker würden mit ihrem grossen Geldtopf falsche Prioritäten setzen. Eine Beweihräucherung dessen, was ohnehin schon grossen Zulauf hat. Schon im Logo von „Ascona-Locarno“ wird sichtbar, welchen Stellenwert z.B. das Centovalli hat: gar keinen. Es wird zuunterst noch aufgeführt, weil es ein Transit-Tal nach Italien ist und über eine gewagte Bahnstrecke verfügt, wo die hochgelegen Dörfer – ohne Seilbahnen – nicht mehr erreicht werden können. Bus- oder Postautobetriebe wurden schon lange eingestellt, da aus der Bahn sowieso nur noch die wenigsten aussteigen, wo es doch kaum Restaurants und schon gar keine grossartigen Festivals gibt.
Die Hauptattraktionen des Tals sind – wie im letzten Blog-Beitrag beschrieben – die Krane oder auch die grünen Plastikplanen auf den zerfallenden Steindächern. Baustellen, die nie beendet werden, Schrott und Gerümpelplätze; halt das Outback von Locarno-Ascona.
Ein Bekannter von mir hat sich diesbezüglich bereits vor Jahren einmal appellativ an die „Organizzazione turistica Lago Maggiore e Valli“ gewandt. Die Antwort war ernüchternd. Jede Verantwortung der Organisation für das Zulassen des Zerfalls dieser Gebiete wurde den Gemeinden zugewiesen. Insbesondere wurde für das Centovalli das Projekt „Masterplan“ der Comune erwähnt, welcher selbst von Behördenmitgliedern als Hirngespinst abgetan wird. Interessanterweise hat sich die Tourismus-Organisation zu Blog-Beitrag „Im Tal der Kran-iche“ praktisch mit demselben Text bei mir gemeldet. Es ist das alte Lied: Es gibt kein Geld, man will zwar das Geld der Touristen, aber sonst bitte gar nichts. Und für die Natur interessiert sich die Tessiner Bevölkerung sowieso nicht. Das langjährig aufgebaute Projekt „Nationalpark Locarnese„, das sogar Geld vom Bund eingebracht hätte, wurde an der Wahlurne deutlich abgelehnt. Der absolute Höhepunkt ist nun, dass die Tessiner-Politik Entschädigungen von der SBB fordert, da infolge des Tunnel-Unglücks auf der Gotthardstrecke weniger Tages-Touristen Geld an die Hotspots bringen.
Die Tourismus-Organisation verweist immer wieder auf das wunderbare 1’400 km lange Wanderwegnetz im Kanton. Wirklich gepflegt wird dieses aber nur dort, wo die Touristen zuerst in eine Bergbahn steigen müssen oder wo am Ziel einträgliche Gaststätten liegen. Der Wanderweg zwischen Costa Borgnone und Lionza ist inzwischen derart gefährlich geworden, durch heruntergefallene Felsbrocken, abenteuerliche Bachüberquerungen und ungesicherte Stellen an Steilhängen, dass man auf den ersten Unfall warten darf. Aber auch hier spielt das Schwarzpeter-Spiel. Schuld sind die Gemeinden, das Patriziat, die ineffizienten Stiftungen, eben die andern. Man trifft sich in Verwaltungsräten verschiedenster Organisationen und Projekte, aber wirklich etwas ändern will niemand, zusammenarbeiten schon gar nicht.
Die Tourismusorganisation ist eine kommerzielle Werbeagentur. Wie alle Werbeagenturen funktionieren sie nach dem alten eidgenössischen Söldnerprinzip „Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing“. Aus diesem Grund bewirbt die Tourismusagentur die touristischen Hotspots, da kann sie nichts falsch machen.
Auch ist es für die Werber doch viel attraktiver, wenn ein bisschen vom Licht der Prominenz (oder Cervelatprominenz) des Locarneser Filmfestivals auf sie fällt. Mit Glamour kann die Natur und die Dörfer des Centovalli nicht mithalten.
für die zentralen sind ihre outbacks meist jenseits des wahrnehmbaren interesses. unsere zentrale (locarno-ascona) denkt nicht an uns in den 100 tälern. also ziehen wir die konsequenz: genießen wir fern von overtourism unser outback und denken an uns selbst! >> wenn jeder an sich selber denkt, ist an jeden gedacht!
Idyllische Dörfer mit Kranen dekoriert
2014 war ich das erste Mal in Verdasio. Der Kran hat mich damals schon gestört, doch es braucht ihn für ein Projekt und er kommt sicher bald weg um wieder eine schöne Sicht auf das Dorf zu ermöglichen.
2023, oh wie schrecklich, steht der Kran immer noch. Wo bleibt der Dorfbildschutz?
Als Ausländer in Verdasio muss ich diesbezüglich leider meinen Mund halten.
Danke für die kritische Berichterstattung!
in vielen belangen kann ich Ihnen zustimmen. was mich vor allem jeden sommer immer wieder ärgert: es gibt keine
nachtverbindung nach den piazzafilmen ins Centovalli. an den wochenenden ein zug bis Intragna reicht mir leider nicht (wohne in Corcapolo). eine kleinbus-nachtlinie fände ich nicht nur während des festivals super,
zudem wäre es angenehm, wenn die zuganschlüsse in locarno (sbb/fart) nicht so knapp bemessen wären. mit gepäck zu rennen ist mühsam.
Liebe Gabriela, dem stimme ich voll und ganz zu: die letzte Centovalli Bahn fährt um 19h von Locarno. Ohne Auto können wir am Abend nicht ins Tal kommen.
Grüsse
Lora Franceschini